Elizabeth George
Aus dem Englischen von Elke Hosfeld
Goldmann Verlag, 2004
ISBN 978-3442416646
352 Seiten
12,- Euro (Taschenbuchausgabe)
9,99 Euro (Ebook)
Thema
Schreiben allgemein (Charakterentwicklung, Recherche, Szenenaufbau, Arbeitsweise)
Zielgruppe
Schriftsteller aller Genres; vom Anfänger bis zum Profi
Zur Autorin
Elizabeth George ist eine der erfolgreichsten Krimi-Autorinnen der Welt. Ihre »Inspector Lynley“-Reihe über ein denkbar ungleiches Ermittlerduo bei Scotland Yard, die von der BBC als Serie verfilmt wurde, hat sie als Autorin weltberühmt gemacht.
Aufbau und Inhalt
Im ersten Teil des Buches („Ein Überblick über das Handwerk“) geht die Autorin auf die Grundsteine einer Geschichte ein und gibt einen guten Überblick über die Themen, die sie in den darauffolgenden Kapiteln näher behandelt. Sie erklärt, warum die Figuren das Herzstück eines Romans sind, welche Eigenschaften sie interessant machen und warum die fortwährende Entwicklung, v. a. der Hauptfiguren sowie der Erzählersprache so wichtig sind: »Lasst mich nun wiederholen, an was ich glaube, bevor es weitergeht. Die Figuren erschaffen die Geschichte. Die Dialoge erschaffen die Figuren.«
Auch trifft man hier auf das erste von vielen weltliterarischen Beispielen, die E. George zur Veranschaulichung ihrer Ausführungen anbringt. Über die verschiedenen Kapitel verteilt, dürfen wir unter der Anleitung von Mrs. George, von Größen wie Faulkner, Hemingway, Golding, P. D. James und vielen anderen lernen, wie das fertige Ergebnis aussehen kann, wenn man die Regeln der Schreibkunst und die Anwendung der schriftstellerischen Werkzeuge verinnerlicht hat.
Großzügige 26 Seiten verwendet die Autorin schon hier auf die Bedeutung des Schauplatzes: »Der Schauplatz kann eine Quelle von Ideen sein, wenn der Autor sich selbst an den Ort des Geschehens begibt. Außerdem kann er Charaktere, Thematik und vieles andere mehr erhellen. «Ausführlich erklärt sie seine Aufgaben, seine Bedeutung als schriftstellerisches Werkzeug, wie viel Beschreibung er nötig hat und wie er der Charakterdarstellung dienen kann. Den letzten Teil ihrer Einführung widmet sie schließlich dem Plot. Sie erzählt von Ideenfindung, Ursachen, Wirkungen, richtiger Reihenfolge, Spannung und Aufbau.
Der zweite Teil des Buches (»Die Grundlagen«) geht nun zunächst detaillierter auf den Plot und den Aufbau der Geschichte ein – jedoch nicht, ohne uns vorher noch einmal klarzumachen, dass die Figuren für E. George das Kernstück des Romans sind; der Ausgangspunkt, aus dem heraus sich der Plot und auch der Schauplatz entwickeln. Auf praktisch jeder Seite gewährt sie uns einzigartige Einblicke in ihren Arbeitsablauf und ihre Denkweise. Sie erklärt uns, wofür sie Soufflierblätter braucht, wie sie ein Stufendiagramm erstellt, aus dem schließlich ihre komplette Rohfassung entsteht (ähnlich der Schneeflockenmethode), und zeigt uns entsprechende Beispiele aus ihrem Fundus: »Mit einem derartigen Stufendiagramm auf einem einzigen Blatt Papier kann ich überprüfen, ob ich kausal verknüpfte Szenen schaffe, was entscheidend ist, damit ein Roman unaufhaltsam voranschreitet und nicht in Charaktere auf der Suche nach einem Plot zerfällt.«
Danach geht sie auf das leidige und doch so wichtige Thema des Romananfangs ein, wobei sie uns netterweise acht »Hooks «(Fanghaken) verrät, mit denen wir den Leser ködern können, und die dann schließlich wieder anhand berühmter Beispiele verdeutlicht werden.
Im nächsten Kapitel folgt ein guter Überblick über diverse Erzählperspektiven und ihr Zusammenspiel mit der Erzählersprache, die daraufhin noch einmal ein eigenes Kapitel bekommt, in dem uns gezeigt wird, wie wir sie entwickeln können, wozu sie gut ist und was wir im Umgang mit ihr unbedingt beachten müssen.
Dem Schreiben von Dialogen sind zwei weitere Kapitel gewidmet. Hier erklärt uns E. George, was einen guten Dialog ausmacht, wie man ihn einsetzt, was genretypische Dialoge von literarischen unterscheidet, welche Aufgaben er erfüllen muss, um nicht der Überarbeitung zum Opfer zu fallen, und was eigentlich nicht hinein gehört: »Darüber hinaus muss der Dialog kurz und bündig sein und es vermeiden, zu predigen oder zu viele Ideen auf einmal abzuhandeln. Wenn er Informationen vermittelt, sollte er nie offenkundig erklärend sein.«
Wie anzunehmen, sind die Dialog-Kapitel mit reichlich Beispielen bestückt, was den eigentlich erklärenden Text deutlich verkürzt, ohne dass dies jedoch eine Auswirkung auf die Ausführlichkeit oder Verständlichkeit hätte. Auch das Szene-Kapitel ist sehr übersichtlich und dennoch umfassend gestaltet, mit Beispielen zu verschiedenen Arten von Szenen (z. B. die Filmtechnik, Hören statt Sehen, etc.), ihren Verwendungsmöglichkeiten und ihrem Aufbau: »Betrachtet die Szene wie eine vollständige Geschichte [?] Am Ende sollte eine Art Auflösung folgen, die den ganzen Roman vorantreibt.«
Der dritte Teil trägt den vielsagenden Namen »Technik «und befasst sich seinem Titel gemäß u. a. mit der anzustrebenden thematischen Einheit eines Absatzes, mit Übergängen und stilistischen Mitteln, die den Leser bei der Stange halten sollen. Sogar die Unterscheidung zwischen Satzverbindung und Satzgefüge wird hier angesprochen. Und auch hier gehen die Informationen trotz der eher geringen Seitenzahl und der vielen Beispiele wieder über das generelle Basiswissen für Autoren hinaus, womit uns die Autorin ihre GVS (Geschwätz-Vermeidungs-Strategien) direkt in Aktion demonstriert.
In Teil 4, dem vorletzten Teil des Ratgebers, schildert Mrs. George schließlich noch einmal ihre ganz persönliche Arbeitsweise, die sie, wie sie mehrfach betont, nicht als Anleitung, sondern viel mehr als Beispiel verstanden sehen möchte: »Ich habe inzwischen gelernt, dass nur das, was man gut macht, Befriedung verschafft. Und um es gut zu machen, habe ich ein Arbeitsverfahren entwickelt, das sich für mich bewährt. Und wenn ihr es auch gut machen wollt, müsst ihr euer eigenes Arbeitsverfahren entwickeln.«
Im fünften und letzten Teil („Beispiele und Anleitung“) geht es dann noch einmal um das Handwerkszeug des Schriftstellers. Es werden Stichworte wie »Der Sieben-Stufen-Plot «oder »Die Heldenreise «aufgegriffen und kurz erklärt, zu eigenen Varianten ermutigt und ausführlichere Beispiele zu Soufflierblatt und Charakteranalyse nach E. George aufgeführt. Ideen für mögliche Arbeitsplätze der Figuren, eine Aufzählung diverser GVS (Geschwätz-Vermeidungs-Strategien), ein Schlusswort, der »Arbeitsprozess im Überblick «sowie einige andere hilfreiche Informationen runden schließlich das Angebot ab und lassen den Leser mit wenigen Fragen, aber vielen neuen Ideen und Gedanken zurück.
Vor- und Nachteile
Pro
- Das Buch liest sich flüssig, fast wie ein Roman.
- Erklärungen und Beispiele sind leicht verständlich und eindringlich formuliert.
- Nicht nur an der Schreibweise, sondern auch an den Beispielen ihrer eigenen Bücher merkt man, dass die Autorin etwas von ihrem Handwerk versteht und weiß, wovon sie redet.
- Die Beispieltexte anderer Autoren sind thematisch gut gewählt und machen Lust auf mehr.
- Es werden alle wichtigen Themen des Schreibens abgedeckt; bündig aber umfassend.
- Trotz viel Theoriewissens ist der Ratgeber sehr praxisorientiert.
- Auch Profis finden hier noch den ein oder anderen Tipp, der ihre Arbeitsweise effektiver machen kann oder Lösungsansätze für die eigenen Schwächen bietet.
Kontra
- Die Auszüge aus den Schreibtagebüchern der Autorin sind zwar oftmals nützlich und bisweilen philosophisch, doch gleichen sie teilweise auch Jammerorgien. Es mag Leute geben, die es als Trost empfinden, dass auch Bestseller-Autoren ihre Zweifel haben – mich hat es zeitweise ein wenig genervt.
- Die angeführten literarischen Beispiele sind z. T. sehr lang und füllen gut ein Viertel bis Fünftel des Buches. Das tut zwar der Fülle an Informationen keinen Abbruch, reißt einem aber bei manchen Kapiteln, die gut zur Hälfte oder einem Drittel aus Beispieltexten bestehen, immer wieder aus dem Lesefluss. Man wird das Gefühl nicht los, das Buch hätte gute 50 Seiten kürzer sein können.
- Mitunter philosophiert E. George zu lange und ausführlich über ihre eigenen Herangehensweisen, Prioritäten und Probleme, was einen leichten Beigeschmack von Egozentrik hat.
- Die Autorin ist geradezu besessen von Recherche, was sehr lehrreich ist, aber auch irritierend sein kann, v. a. wenn sie ihre Ansicht zum Besten gibt, dass ein guter Schriftsteller an den Ort der Handlung reisen muss, um eine akkurate Beschreibung des Schauplatzes abzugeben. Abgesehen von der Tatsache, dass sich viele angehende Autoren derlei »Ausflüge «finanziell wohl nicht leisten können, wären viele Bücher, darunter einige Klassiker, wohl nie erschienen, wenn diese Weisheit tatsächlich Voraussetzung für das Schreiben eines guten Buches wäre.
Fazit
Mit dem Kauf des Buches habe ich lange gehadert. Vielfach als selbstdarstellerische, überlange Prosa über den Schreibprozess beschrieben, hat mich vor allem das eher »unsachliche «und romantisch anmutende Cover abgeschreckt. Aber die Schwächen des Buches werden eindeutig von den Stärken überwogen. Tatsächlich sind schon im Einleitungsteil so viele Informationen – so komprimiert und dennoch ansprechend formuliert – enthalten, dass man sich fragt, was und wie viel da noch kommen kann. Anhand der Informationsdichte bietet es sich auch an, jedes Kapitel erst einmal sacken zu lassen, ehe man weiterliest – oder das Buch am besten gleich zweimal zu lesen.
Besonders die Charakterentwicklung wird sehr ausführlich behandelt. Gerade für Autoren, die darin ihre größte Schwäche sehen, kann sie wirklich als erstklassiges Beispiel dienen, da sie sehr detailliert ausgearbeitet und beschrieben wird. Im Grunde zieht sich dieses Thema auch wie ein roter Faden durch das gesamte Buch und wird praktisch in jedem Kapitel themenbezogen und in unterschiedlichem Ausmaß wieder aufgegriffen. Aber auch wer Probleme mit dem Aufbau und der Variation von Szenen hat – was in anderen Ratgebern oft gerade mal angerissen oder überhaupt nicht behandelt wird – kann aus diesem Buch viel mitnehmen. Sehr schön beschrieben werden auch die stufenweise Plotentwicklung von der ersten Idee bis zur Rohfassung sowie das Finden, Einbinden und Nutzen von Schauplätzen.
Der Einblick in den Alltag und die Denkweise eines anderen, in diesem Fall Bestseller-Autors, bietet einen veränderten Blickwinkel auf verschiedene Fragen, Probleme und Arbeitsweisen, der für Anfänger und Profis gleichermaßen interessant ist. Gerade »alte Hasen «bekommen dadurch eventuell neue Anregungen, wie eigene Routine und Ideenfindung möglicherweise effektiver gestaltet werden können.
Unter den allgemeinen Schreibratgebern ist dieser für mich bisher einer der Besten. Er braucht den Vergleich mit Standardwerken wie »Über das Schreiben «(Sol Stein) oder »Wie man einen verdammt guten Roman schreibt «(J. N. Frey) keinesfalls zu scheuen, und ist meiner Meinung nach gerade für fortgeschrittene Autoren, welche die Grundlagen bereits kennen und beherrschen, wesentlich nützlicher. Absoluten Anfängern, die sich bisher noch nicht mit der Theorie des Schreibens und ihren Begriffen befasst haben, würde ich wohl eher zu Frey oder Stein raten. Aber auch den Viellesern unter den Autorenneulingen kann ich das Buch getrost empfehlen, da es zum Verständnis vor allem ein intuitives Textgefühl und die Liebe zum geschrieben Wort voraussetzt. Ein Ratgeber, den man, wenn man ihn sich schon nicht kaufen möchte, wenigstens einmal gelesen haben sollte. Nicht nur wenn man Krimis schreiben möchte.
Die Rezension wurde verfasst von Deborah Hydewood.