Interview Maja Ilisch

Im Dezember 2001 hast du den Tintenzirkel gegründet, zunächst als Mailingliste, bis 2004 auch das Forum dazukam. Wie bist du überhaupt auf die Idee für den Tintenzirkel gekommen und wieso hast du ausgerechnet den Schwerpunkt auf das Fantasygenre gelegt?

Ich war seit Anfang 1998 im Internet unterwegs und hatte über die Jahre Kontakt zu verschiedenen anderen Fantasyschreibenden aufgebaut – teilweise Leute, die ich noch aus meinem recht frisch zurückliegenden Studium kannte, teilweise Bekannte aus Foren, aus der Filkmusik … Ich versuchte, mit allen in Kontakt zu bleiben, aber ich war lausig schlecht darin, allen rechtzeitig zurückzuschreiben, und man kann nur so-und-so-viele Brieffreundschaften aufrechthalten. Also hatte ich die Idee, einfach eine Mailingliste zu erstellen – mit Yahoogroups waren das nur ein paar Mausklicks – und alle anderen Autor:innen, die ich kannte, dahin einzuladen. Die allermeisten haben die Einladung angenommen, und innerhalb weniger Tage hatten wir eine aktive Mailingliste mit sechs, sieben, acht Mitgliedern. Und weil sich über Yahoogroups auch jede:r andere Interessierte dafür anmelden konnte, wurden es sehr schnell mehr Mitglieder, bis das Ganze eine richtige Eigendynamik entwickelt hat.

Der Schwerpunkt auf Fantasy ist schnell erklärt: Seit ich mich damit abgefunden habe, dass ich keine Krimis zustande bringe, habe ich nichts anderes mehr geschrieben als Phantastik der verschiedensten Spielarten. Ich habe immer gerne eine Lanze für dieses Genre gebrochen, das selbst heute noch vielerorts einen unverdient schlechten Ruf hat, aber damals, Anfang des Jahrtausends, war die Situation noch mal eine Ecke anders als heute. Es gab praktisch keine Verlage, die Fantasy von deutschsprachigen Autor:innen verlegt hätten. Es gab die Romane zum Rollenspiel »Das Schwarze Auge«, und es gab Wolfgang Hohlbein, und sonst gab es praktisch keine Präsenz deutschsprachiger Fantasy.

Das wollte ich ändern – und ich wollte raus aus der Einsamkeit. Ich hatte schon zu meiner Schulzeit viel geschrieben, aber ich kannte niemanden, der auch schrieb, und hatte oft das Gefühl, die einzige Autorin auf der ganzen Welt zu sein, weil ich keine Kontakte zu anderen hatte. Im Internet habe ich die Chance gesehen, das zu ändern. Heute, über zwanzig Jahre später, ist es so einfach wie nur etwas, mit anderen Autor:innen in Kontakt zu treten, sowohl mit Hobbyschreiberlingen als auch veröffentlichten Profis. Brauchen können hätte ich den Tintenzirkel schon zehn Jahre früher, aber als ich ihn einmal hatte, habe ich ihn einfach nicht mehr hergegeben, und ich brauche ihn bis heute.

Welches Ereignis aus der nunmehr zwanzigjährigen Geschichte des Tintenzirkels ist dir besonders stark in Erinnerung geblieben?

In über zwanzig Jahren Tintenzirkel, davon allein achtzehn mit dem Forum, sind die verschiedensten Sachen passiert, die sich im Gedächtnis festgesetzt haben. Die allermeisten hier werden sich noch lebhaft an den großen Knall erinnern, den es letztes Jahr, also Anfang 2021, gab, als uns ein alter Thread voll schlecht kaschiertem Rassismus zurecht um die Ohren geflogen ist und wir uns der Tatsache stellen mussten, dass wir eben nicht so offen und vorurteilsfrei sind, wie wir uns das immer schöngeredet haben. Die Hintergründe und was sich daraus entwickelt haben, sprengen aber den Umfang einer Interviewfrage, auch wenn ich weiß, dass ich schon so immer viel zu lange Antworten verfasse. Wer mehr darüber wissen möchte, den verweise ich auf einen sehr persönlichen Blogartikel, den ich damals verfasst habe: Ein Ort zum Wohlfühlen?

Was ich an dieser Stelle stattdessen erzählen möchte, ist der Moment, als wir sterblich geworden sind und das Misstrauen Einzug im Tintenzirkel gehalten hat, bis wir selbst nicht mehr wussten, woran wir noch glauben sollten. Das war 2010, und nur die wenigsten, die heute noch im Tintenzirkel sind, waren damals schon dabei. Wir schrieben in dem Jahr zum ersten Mal den T12, unsere Ganzjahresantwort auf den NaNoWriMo, in einer netten und sehr eng verzahnten Kleingruppe innerhalb des Forums, als ich eine Mail von der Schwester einer unserer Teilnehmerinnen bekam. Unsere Lavina, eine nette junge Frau aus dem Süddeutschen, war gestorben.

Wir waren ernsthaft aufgelöst vor Trauer. Das war das erste Mal, dass jemand aus unseren Reihen gestorben war – zumindest das erste Mal, von dem wir erfahren hätten – und wir kannten Lavina zwar nicht persönlich, aber sie hatte uns doch sehr offen an ihrem Leben teilhaben lassen, war Mutter von zwei kleinen Kindern, hatte es sicher nicht verdient, einfach so früh zu sterben … Im T12 beschlossen wir, ihrer zu gedenken, indem wir ihr Jahresziel unter uns aufteilten und auf unsere eigenen Ziele aufschlugen, um für sie mitzuschreiben, was sie selbst nicht mehr konnte, und wir fühlten uns alle plötzlich sehr, sehr sterblich.

Ich löschte schweren Herzens Lavinas Forenaccount, wie die Schwester mich gebeten hatte – nur, um dann ein paar Wochen später eine Mail zu bekommen. Lavina fragte, warum sie sich nicht mehr einloggen konnte. Sie lebte, das war die gute Nachricht. Aber es trat eine Welle von Ereignissen los, die niemand im Forum hatte kommen sehen. Während ich noch versuchte zu klären, wer uns denn da Lavinas Tod gemeldet haben konnte, löschte ein anderes Mitglied seinen Zugang, und in dem Zusammenhang sah ich, dass es mit der gleichen IP eingeloggt war wie früher Lavina – und wie ein drittes Mitglied, das, darauf angesprochen, ebenfalls seinen Zugang löschte. Lavina, mit der ich derweil in Mailkontakt blieb, beteuerte, mit all dem nichts zu tun zu haben und von ihrer Schwester hereingelegt worden zu sein …

Wir haben nie herausgefunden, was wirklich passiert ist. Fest steht, dass wir belogen worden sind, dass sich da jemand mit falschem Namen in unser Forum eingeschlichen hatte, einem Ort, wo wir uns sicher genug fühlten, um unsere persönlichsten Geschichten und unser Leben zu teilen. Wir fanden sogar noch zwei weitere Bewerbungen, die wir auf die gleiche Person, mit noch mehr anderen Namen, zurückführen konnten. Ob Lavina die Schuldige war oder ihre Schwester, ob es Lavina selbst vielleicht nie gegeben hatte … Es gibt eine Wahrheit hinter dem Ganzen, oder mehr als eine, aber wir kennen sie nicht. Am Ende haben wir uns dafür entschieden, Lavina das Vertrauen auszusprechen, im Zweifelsfall unschuldig und gut, dass sie lebt, und ihr angeboten, dass sie ins Forum zurückkehrt, aber sie hat sich letztlich dagegen entschieden, selbst zu aufgewühlt von der ganzen Sache, und wir haben nie wieder von ihr gehört.

Aber dieser Fall hat das Vertrauen im Forum nachhaltig beschädigt. Wir konnten uns plötzlich bei niemandem mehr sicher sein, ob wir es mit einer echten Person zu tun hatten oder mit einem Lügengebilde. Klar, es ist das Internet, wir sind alle nur Avatare und Fassade – aber bis dahin hatten wir uns der Illusion hingeben können, dass der Tizi anders ist, dass seine Mitglieder wahrhaftig sind und wir einander vertrauen können. Seitdem haben wir harte Auflagen, ehe jemand für die innersten Bereiche, wo wir über Vertragsdetails sprechen und über die allerpersönlichsten Sachen, freigeschaltet wird, und diejenigen, die damals schon dabei waren, erinnern sich auch nach zwölf Jahren noch gut an diesen Fall.

Die zehntausend Wörter für Lavina, die ich damals meinem Jahresziel auferlegt habe, habe ich trotzdem geschrieben, als Mahnmal, nicht alles für bahre Münze zu nehmen. Beinahe so lang ist jetzt auch diese Antwort geworden. Aber die Geschichte bewegt mich nach all den Jahren noch immer.

Du schreibst schon länger Geschichten als der Tintenzirkel existiert. Kannst du dich noch an deine allererste Geschichte erinnern? Was ist aus ihr geworden?

Meine aller-allererste Geschichte stammt aus einer Zeit, als ich noch lange nicht schreiben konnte. Ich bin bei meinen Eltern in den Bettkasten geklettert, da muss ich so vier Jahre alt gewesen sein, und habe mir selbst die Geschichte von Pombo, der im Eis eingefroren ist, erzählt. Nicht meinen Eltern, nur mir selbst, weswegen heute bis auf diese Prämisse, an die ich mich noch erinnere, nichts von der Geschichte erhalten geblieben ist. Wurde Pombo jemals aufgetaut? Niemand weiß es.

Meine allererste aufgeschriebene Geschichte entstand, als ich im zweiten Schuljahr war, und ist bis heute erhalten – sie hieß »Zirkus in der Stadt«, beinhaltete einen entlaufenen Löwen, und wurde von mir nach allen Regeln der Kunst vor die Wand gefahren, nachdem ich den Löwen im Schrebergartenhaus eingesperrt hatte, aber nicht wusste, wie ich ihn da jemals wieder rausbekommen sollte. Die Geschichte blieb also unvollendet, und das gleiche gilt für das allermeiste, was ich in den nächsten Jahrzehnten zu Papier bringen sollte. Ich habe einfach immer wieder neue Geschichten angefangen, so weit geschrieben, wie ich kam, und dann fallenlassen und mich der nächsten Geschichte zugewandt.

Zwar habe ich ein paar kürzere Sachen (so um die dreißig, vierzig Seiten) fertigbekommen, aber bis ich meinen ersten richtigen Roman geschafft habe, war ich zweiundzwanzig und beinahe mit dem Studium fertig. Und selbst heute noch schreibe ich mehr Bücher vor die Wand, als ich fertigstelle.

Dein Debütroman »Das Puppenzimmer« erschien 2013 im dotbooks-Verlag. Wie oft denkst du noch an diese Zeit zurück? Gibt es vielleicht sogar etwas, dass du mit deinem heutigen Wissen anders gemacht hättest?

Ich denke da tatsächlich noch regelmäßig dran zurück, vor allem, wenn ich wieder ein Buch im Lektorat habe – damals, mit meiner ersten Veröffentlichung, ist mir das extrem schwergefallen. Bis dahin war jeder Text von mir etwas, das ich noch jederzeit wieder umschreiben konnte, wenn mir etwas nicht mehr gefiel, und plötzlich war ich in der Situation, einen Text für fertig erklären zu müssen, bis hierher und nicht weiter, keine weiteren Änderungen mehr möglich, und da stand ich mir sehr im Weg. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt über jeder einzelnen Lektoratsanmerkung, ausführlich bei jedem Vorschlag das Für und Wider abgewogen und gefühlt eine Stunde pro Seite gebraucht, und das war ein dickes Buch. Heute bin ich da viel routinierter, ich kann ein Buch loslassen und für fertig erklären, ohne dass es mir wehtut, und ich panike nur noch so ein bisschen, wenn ich zum ersten Mal meine Lektoratsanmerkungen für ein neues Buch öffne und sehe, was man mir alles angestrichen hat.

Ein Punkt, mit dem ich lange unglücklich war, ist, dass das »Puppenzimmer« nur als Ebook erschienen ist, und das war wirklich ein sehr großes Nur. Als ich damals den Vertrag unterschrieben habe, plante mein damals ganz neuer Verlag noch, parallel zu den Ebooks auch Druckausgaben anzubieten, und das war die Voraussetzung, unter der ich überhaupt zugesagt habe. Dann, als das Buch schon im Lektorat war, kam eine Rundmail vom Verlag, dass sie sich doch auf Ebooks konzentrieren möchten und keine Druckausgaben machen, und ich habe geheult und geflucht und mit den Zähnen geknirscht, aber es hat nichts geholfen, es blieb bei dem Ebook.

Der Verlag hat sich wirklich reingekniet, eine Menge Marketing für den Titel gemacht, und das Buch hat sich extrem gut verkauft – aber es hat noch bis 2018 gedauert, fünf lange Jahre, bis mit den »Spiegeln von Kettlewood Hall« dann, in einem anderen Verlag, erstmals ein Titel von mir im Druck erschienen ist, und bis dahin fühlte ich mich oft als Autorin zweiter Klasse behandelt. Ich habe mich um Lesungen bemüht und Kommentare kassiert à la »Kommen Sie wieder, wenn Sie ein richtiges Buch haben«, ich konnte keine Büchertische bestücken, nichts signieren außer Autogrammkarten …

Damals habe ich lange gesagt, ich mache nie wieder eine reine Ebook-Veröffentlichung, obwohl das »Puppenzimmer« sich gerade im ersten Jahr verkauft hat wie geschnitten Brot. Heute, mit vier Büchern im Druck und dem fünften in Vorbereitung, sehe ich das deutlich entspannter. Und ich bereue nicht, dass ich Puzi, wie ich das »Puppenzimmer« liebevoll nenne, mit dotbooks gemacht habe. Es hat mir auf die lange Sicht eine Menge gebracht.

Mit »Das gefälschte Land« erschien im März 2022 der Abschluss der Neraval-Sage. Planst du noch weitere Geschichten, die in derselben Welt spielen?

Grundsätzlich nicht. Für mich ist die Geschichte auserzählt, und drei dicke Bücher reichen mir erstmal aus. Ich mache zwar manchmal Witze darüber, dass ich noch die tausend Jahre vor der eigentlichen Handlung spielende Vorgeschichte um Damar und seine Gefährten schreiben werde und das Ganze »Die gefälschte Zeit« nennen, aber das ist wirklich nur ein Witz. Diese Vorgeschichte enthält keine Überraschungen mehr, Damar tötet seine Gefährten und wird zum König gekrönt, und auch die Details dazu fast alle noch offen sind: Wenn ich meine Leser:innen nicht mehr überraschen kann, dann fehlt mir die Motivation, mich überhaupt ans Schreiben zu setzen.

Ich habe viele Ideen und viele Welten in mir und noch ganz viele andere Geschichten, die alle noch erzählt werden wollen, dass ich heilfroh bin, diese zu einem Abschluss gebracht zu haben. Das waren elf Jahre, die ich in Neraval verbracht haben, und ich hatte wirklich große Freude mit der Reihe (und habe geschwitzt und geweint und geflucht und alles in die Tonne kloppen wollen), aber jetzt bin ich auch irgendwie froh, dass es vorbei ist. Ich habe ja immer noch Probleme, Dinge zu einem Ende zu bringen, und einen richtigen Mehrteiler abgeschlossen, sowas hatte ich vorher noch nie getan.

Jetzt weiß ich, dass ich auch sowas schaffen kann, und das bedeutet mir viel – aber den nächsten Mehrteiler möchte ich am liebsten komplett haben, ehe ich den ersten Band veröffentliche. Während ich am dritten Band geschrieben habe, wäre ich so oft gerne zurück in den ersten gegangen, um da noch etwas zu ändern, aber das ging nun mal nicht mehr. Jetzt würde ich die eine oder andere Szene aus allen drei Bänden gerne komplett neu schreiben, aber noch mal eine neue Geschichte in Neraval oder Ailadredan ansiedelt – das will ich lieber nicht.

Sowohl in der Neraval-Sage, als auch im Puppenzimmer tauchen queere Figuren auf. Wie wichtig ist dir queere Repräsentation in deinen Büchern, gerade auch vor dem Hintergrund, dass du selbst trans bist?

Mir ist queere Repräsentation wirklich sehr wichtig. Lange, bevor ich verstanden habe, dass ich selbst trans bin, wusste ich schon, dass ich bisexuell bin, und ich habe seit über zwanzig Jahren queere Haupt- und Nebenfiguren in eigentlich allen meinen Geschichten – die, bei denen das nicht so ist, kann ich praktisch an einer Hand abzählen. Ich wollte mich in meinen eigenen Geschichten wiederfinden können, und ich wollte vor allem Queerness als etwas normales darstellen, etwas alltägliches.

Meine Figuren sind aber nicht schwul im Hauptberuf, und die Sexualität meiner Figuren spielt eine Rolle, manchmal sogar eine größere, ist aber nie der Hauptinhalt des Buches. Deswegen habe ich für mich bis jetzt die LGBTQ-Label tendenziell vermieden – ich möchte da einfach keine falschen Erwartungshaltungen bei den Leser:innen wecken, vor allem aber möchte ich nicht den Eindruck erwecken, man müsste selbst queer sein, um meine Bücher lesen zu dürfen. Außerdem erwarten die Leute dann tendenziell einen deutlich höheren Romantikanteil, als meine Bücher bieten – ich bin einfach kein so entsetzlich romantischer Mensch. Manchmal kann ich ganz gute Romantikszenen schreiben, aber meistens bin ich nicht in der Stimmung dafür, und meine Liebesgeschichten, homo wie hetero, sind selten der Hauptplot. Unter »Gay Romance« sind meine Bücher jedenfalls falsch, und das ist immer noch das, was die meisten erwarten, wenn sie hören, dass ein Buch queere Hauptfiguren hat.

Mir ist tatsächlich einmal ein Betaleser abgesprungen, als mein Protagonist – in einer bis heute unveröffentlichten Reihe über einen Geisterfotographen in den 1920ern – sich im zweiten Band in einen Mann verliebt hat und er meinte, das wäre ihm jetzt zu viel. Wir reden hier nicht von expliziten Sex-Szenen, so etwas schreibe ich nicht, und mir fehlt das Talent für nicht-lächerliche Erotik, sondern von einem ziemlich scheuen Kuss, nach dem ich abgeblendet habe, aber das hat schon gereicht, um ihn dauerhaft abzuschrecken. Das hat mich schon geärgert. Aber es sind genau solche Leser:innen, die ich eben doch erreichen will, die, wenn sie sich auf das Buch einlassen, akzeptieren lernen können, dass ein Kuss unter Männern eben doch nicht anders ist als einer zwischen Frau und Mann.

Als ich das »Puppenzimmer« veröffentlicht habe, war es noch deutlich schwerer, queere Themen im Verlag unterzubringen, sofern man nicht in einen queeren Nischenverlag wollte, und das kam für mich nicht in Frage – ich wollte ja kein schwul-lesbisches Reservat, sondern in die Mitte. Aber wir haben das Buch tatsächlich erst mit einem deutlich abgemilderten Schluss angeboten, bei dem nicht ganz klar war, dass sie wirklich die Frau bekommt und nicht den Mann, und dann, nachdem ich beim dotbooks-Programmleiter mit dem von mir eigentlich beabsichtigten Schluss offene Türen eingerannt habe, wieder mein ursprüngliches Ende eingebaut. Und für meinen zweiten Gaslichtroman, anderer Verlag, bekam ich dann die klare Auflage »Liebesgeschichte mit Happy end, bitte diesmal hetero«. Das würde heute so nicht mehr passieren, und darüber bin ich mehr als froh.

Als ich dann mit der Hobbit Presse mein »Gefäschtes Siegel« gemacht habe, stand nie zur Debatte, dass der Steinerne Wächter schwul ist, es hat sich im Verlag niemand dran gestört, und auch den Leser:innen scheint es nicht aufgestoßen zu sein. Da habe ich das Gefühl, das wird inzwischen wirklich als so normal, wie es auch ist, wahrgenommen. Und ich habe selbst dazugelernt, was die Präsentation von Queerness angeht. In der ersten Textfassung hatte ich die Enthüllung, dass Lorcan schwul ist, noch zu einem späteren Zeitpunkt der Handlung und mit Knalleffekt. Als ich das Buch überarbeitet habe, war es dann überhaupt kein Thema mehr, dass er schwul ist, er war in seiner eigenen Perspektive, wusste längst Bescheid, und warum hätte er dann einen Eiertanz darum veranstalten müssen? Es ist mehr die Frage, in welche Person er sich da ausgerechnet verliebt, nicht in welches Geschlecht.

Dass ich mich im vergangenen Jahr als trans geoutet habe, hat da für mein Schreiben und Veröffentlichen erstmal keinen so großen Unterschied mehr gemacht. Ich habe aber ein Buch in der Schublade liegen, bei dem einer meiner Protagonisten selbst trans ist, und ich hoffe sehr, dass ich das auf absehbare Zeit bei einem Verlag unterbringen kann, weil es zum einen ein verdammt gutes Buch ist und zum anderen mir extrem viel bedeutet. Das ist ein Thema, an das ich mich früher wahrscheinlich nicht herangetraut hätte. Erst, als ich gelernt habe, meine eigene sexuelle Identität zu verstehen, konnte ich mich auf Esh und die Herausforderungen, die mit seiner Identität einhergehen, einlassen, und es ist mein wahrscheinlich persönlichstes Buch geworden.

Ich denke aber nicht, dass man trans oder queer sein muss, um über Menschen, die trans oder queer sind, zu schreiben. Das würde die Repräsentanz und die Normalität, die ich mir wünsche, doch deutlich einschränken. Redet mit den Leuten. Hört ihnen zu. Sucht euch Sensitivity-Reader, um die Details abzuklopfen. Und vor allem: Lasst eure Figuren einfach Menschen sein. Niemand ist queer oder trans im Hauptberuf. Ich bin ja auch nicht hauptberuflich Linkshänder, selbst wenn meine Händigkeit mir im Alltag oft genug in die Quere kommt. Nicht anders verhält es sich mit der Sexualität oder Identität. Ich habe sie. Aber ich bin so viel mehr als das. Und das gilt für jede:n.

Im vergangenen Jahr konntest du mit »Die neunte Träne« das PAN-Stipendium in der Kategorie Roman gewinnen. Wie unterscheidet sich diese Geschichte von deinen anderen Büchern, insbesondere von der Neraval-Sage, bei der es sich ebenfalls um High Fantasy handelt?

»Die neunte Träne« ist die Geschichte, die ich schon immer schreiben wollte. Ihre Vorbilder liegen in der Fantasyliteratur der Achtzigerjahre, mit der ich aufgewachsen bin, und spielt mit deren Klischees, die man heute nur noch vereinzelt antrifft, und das aus gutem Grund – irgendwann waren alle Sammelquesten eingesammelt, alle Küchenjungen hatten sich ihrer Bestimmung gestellt … Und jetzt komme ich an und will genau so ein Buch schreiben, oder genauer, eine ganze Buchreihe, weil ich diese Art Geschichten immer geliebt habe. Aber die Bücher von damals sind heute oft nur noch schwer lesbar. Es hat sich in der Zwischenzeit einfach so viel getan, was Diversität in Büchern angeht. Und auch wenn ich es »Retro-Fantasy« nenne, wird es ein Werk aus unserer Zeit, nur eben mit Motiven aus dem alten Jahrhundert.

Was unterscheidet es von der »Neraval-Sage«? Die Geschichte selbst, würde ich sagen. Auch im Bereich High Fantasy hat man eine Vielzahl möglicher Plots. In der Neraval-Sage reisten die Helden zwischen verschiedenen Welten hin und her, um herauszufinden, ob der vor tausend Jahren gebannte Dämonenfürst noch gebannt ist oder auf Rache sinnt – in der »Neunten Träne« geht eine tendenziell auf der falschen Seite des Gesetzes agierende Gruppe auf die Suche nach den verlorenen Tränen der Götter, und jede:r von ihnen hat eigene Ideen, was man mit denen und der Macht, die sie bieten, danach anstellen kann.

Aber natürlich gibt es auch Parallelen. Beide Geschichten sind Ensemblestücke, in denen die Hauptfiguren mit wechselnder Perspektive als Gruppe agieren, und wie in Neraval – und meinen anderen Geschichten – sind die Figuren tendenziell angeknackst und nicht so heldenhaft, wie man das in einem High Fantasy-Roman erwarten könnte. Vor allem aber habe ich aus den Fehlern der »Neraval-Sage« dazugelernt. Da hatte ich noch große Defizite im Weltenbau, die man vor allem im ersten Band merkt und deren Altlasten ich bis zum Ende mit mir herumgeschleppt habe, weil es schwer ist, unter eine ansonsten fertige Geschichte nachträglich eine Welt unterzuheben wie Eischnee.

Bei der »Neunten Träne« habe ich im Vorfeld deutlich mehr Weltenbau betrieben, ich habe erst ein Pantheon erschaffen und dann überlegt, was aus der Welt wird, wenn die Götter sie im Stich gelassen haben, und dadurch, dass auch das Totenreich verwaist ist und die Toten keinen Platz haben, an den sie gehen können, haben sich richtig spannende Elemente entwickelt, wie die Tatsache, dass Nekromanten in dieser Welt höchstes Ansehen genießen. Und so ist auch die treibende Kraft hinter der Tränenjagd ein ausgesprochen lebensfroher Totenbeschwörer, eine Figur, auf die ich ausgesprochen stolz bin. Dann haben wir noch einen unfähigen Dieb, eine leider bereits verstorbene (und damit nicht glückliche) Meisterdiebin, und, natürlich, eine Küchenmagd.

Ich liebe diese Geschichte heiß und innig. Aber nachdem ich damit das Stipendium gewonnen habe, lag plötzlich ein gewaltiger Druck auf mir, dass dieses Buch absolut großartig zu werden hat, und damit hätte ich es dann beinahe gegen die Wand gefahren. Dazu kamen die Auswüchse einer ziemlich heftigen Depression, die sich über Monate hingezogen haben, und diese tolle Geschichte hat lange brachgelegen und vor sich hin gedümpelt. Erst in den letzten Wochen habe ich sie mir wieder vorgenommen, und bin jetzt, langsam, aber stetig, wieder mit ihr zugange. Werde ich die Idee so umsetzen können, wie das ursprünglich geplant war? Das kann ich noch nicht sagen. Aber sie wird was.

Mit Gaslicht-, High-, und Retro-Fantasy bietest du deinem Publikum eine bunte Mischung. Gibt es dennoch wiederkehrende Elemente oder sogar Markenzeichen, die »typisch Maja Ilisch« sind?

Meine Marke, um das mal als solche zu bezeichnen, hängt weniger an gemeinsamen Inhalten. Neben High Fantasy und historischem Grusel habe ich auch schon Dystopien, Romanzen und Bücher, die sich gegen jedwede engere Genreeinordnung sträuben, geschrieben – aber sie alle tragen meine spezielle Handschrift, wo es um meinen Stil dreht. Ich habe eine recht eigene Art, mich auszudrücken – eine Rezensentin des »Puppenzimmers« nannte meinen Stil »wunderbar schrullig«, und ich denke, das trifft den Nagel auf den Kopf. Ich rede auch in Echt so. Ich habe eine Melodie im Kopf, wenn ich schreibe, und reihe meine Wörter in ihrem Klang aneinander, was die einen ganz toll poetisch finden und andere ganz furchtbar, aber niemand beliebig.

Bei meinen ersten Veröffentlichungen war es noch so, dass meine Lektorinnen sehr stark versucht haben, meine Texte sprachlich glattzubügeln und an das, was für normal erachtet wurde, anzupassen, und ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, denn meine Sprache ist der Kitt, der meine Geschichten zusammenhält. Ich habe mich durchgesetzt, und die Rezensionen haben mir insofern recht gegeben, als dass sich sehr viele darüber gefreut haben, dass es sprachlich mal etwas anderes ist. Und ja, es hat nicht allen gefallen, aber ich denke, wenn man als Autor:in versucht, es allen recht zu machen, wird man schnell beliebig. Meine späteren Buchverträge habe ich dann bekommen, weil gerade das Besondere an meinem Stil die Lektor:innen überzeugt hat.

Das andere, was meine Bücher verbindet, sind die Figuren. Ich bin ein Mensch mit Ecken, Kanten und Rundungen, ich habe Probleme und bin nicht perfekt, und ich mag Figuren, die so sind wie ich, die von der Norm abweichen, die am Rand der Gesellschaft stehen, psychisch angeknackst sind oder anderen Ballast mit sich herumtragen. Für meine High Fantasy benutze ich darum das Schlagwort »Anti-Heroische Fantasy«, schon damit niemand mit der Erwartungshaltung rangeht, strahlende Helden zu bekommen und dann bitter enttäuscht wird, wenn stattdessen nur ein Haufen verkrachter Gestalten auftritt.

Zu guter Letzt, was alle meine Geschichten inhaltlich gemeinsam haben, ist, dass ich meine Leser überraschen will. Meine Plotwendungen sollen nicht so einfach vorhersehbar sein, meine Enden unerwartet – auch das polarisiert, ein unerwartetes Ende ist ja oft nicht das Ende, was die Leser:innen sich gerne gewünscht hätten, aber es soll rund sein, zum Buch passen und zu den Figuren, und meine Leser sollen sich vielleicht manchmal überrumpelt fühlen und an der Nase herumgeführt, aber nicht verarscht. Ich bin als Leser und Filmkonsument zu gut darin, Plots zu durchschauen – ich will Bücher schreiben, die ich selbst so nicht habe kommen sehen. Eine Tintenzirklerin nannte das »In Wirklichkeit ist alles ganz anders!« in meinen Büchern einmal den »Maja-Faktor«, und darauf bin ich stolz.

Welche deiner noch unveröffentlichten Geschichten liebst du besonders? Was kannst du über diese Geschichte erzählen?

Da komme ich seit zehn Jahren immer wieder auf das gleiche Buch zu sprechen: Meine »Gauklerinsel«. Hach, was liebe ich dieses Buch! Allein die eigentliche Schreibarbeit daran hat sich über zehn Jahre gezogen, auf Basis einer Idee, die ich mit elf hatte und unter Verwendung von Figuren aus einem Email-Rollenspiel, das ich um die Jahrtausendwende herum gespielt habe, und ich habe dieses Buch beim Schreiben so heiß und innig geliebt, dass ich regelrecht traurig war, als ich es fertig hatte. Den Schluss habe ich rausgezögert, um länger etwas von dem Buch zu haben, und das ist mir sonst noch nie passiert. Die Geschichte ist ziemlich schräg, sehr speziell, und spielt auf siebenhundert Seiten auf einer einzigen Insel, in deren einziger Stadt, und stellenweise unter Wasser; und sie bringt alles mit, was eine gute Geschichte braucht: Fechten! Folter! Qualen! Quallen!

Meine Agentin hat das Buch mit dem Schlagwort »Fluch der Karibik trifft Film Noir trifft die Dreigroschenoper« angeboten, und wir hatten begeisterte Lektor:innen, die das Buch dann doch nicht gekauft haben, weil es so speziell ist, weil es keine Vergleichstitel gibt, weil man es nicht mal eben so verkaufen kann. Aber ich gebe das nicht auf. Irgendwann findet sich DER Verlag für meine Gaukler. Wobei ich allerdings inzwischen da angekommen bin, wo ich das Buch noch mal komplett neu schreiben würde – es ist einfach schon zehn Jahre her, dass es fertig geworden ist und ich es zuletzt überarbeitet habe, und ich habe so viel dazugelernt in den letzten Jahren, dass meine Gaukler davon nur profitieren können. Und ich, wenn ich dieses tolle Buch noch einmal schreiben darf, auch.

2011 hast du deinen damaligen Beruf als Bibliothekarin aufgegeben, seit dem schreibst du hauptberuflich Bücher. Wie hat sich dein Alltag, aber auch das Schreiben selbst dadurch verändert?

Tatsächlich war die Situation, die zu meiner Selbständigkeit geführt hat, nicht die tollste. Ich hatte im Herbst 2010 meine letzte Stelle als Bibliothekarin an der Aachener Unibibliothek verloren, weil meine befristete Stelle nicht noch einmal verlängert werden konnte, und die Stellenaussichten in dem Beruf waren schlecht. Dazu kam, dass ich wegen meiner Schizophrenie auch nur noch eingeschränkt arbeitsfähig war, unter sehr starken Schlafstörungen litt und wusste, mehr als eine halbe Stelle kann ich ohnehin nicht mehr stemmen.

Ein Jahr lang habe ich noch diverse Bewerbungen geschrieben, hatte ein paar Vorstellungsgespräche, aus denen nichts geworden ist, und habe dann nach Absprache mit meinem Partner beschlossen, es mit der Selbständigkeit zu versuchen, weil ich buchstäblich nichts mehr zu verlieren hatte – das Arbeitslosengeld lief nach einem Jahr aus, ALG II hätte ich keines bekommen, weil mein Partner zu gut verdiente, und alles, was dann noch fehlte, war eine Meldung beim Finanzamt, dass ich mich für freiberuflich erkläre. Ich hatte gehofft, dass ich, wie eine Autorenfreundin zwei Jahre vor mir, einen Gründungszuschuss bekommen könnte, ich hatte einen Businessplan entworfen und alles, aber das half nichts – in dem Jahr hatte sich die Regelung für Gründer dahingehend verändert, dass man den Zuschuss nur noch bekommen konnte, wenn man in der Lage war, ein festes monatliches Einkommen in der-und-der Höhe nachzuweisen, und das können noch nicht mal die bestverdienenden Autoren.

Den Zuschuss gab es also nur noch für die, die ihn de facto nicht mehr nötig hatten, nicht für mich, aber wir hatten durchgerechnet, dass wir schon irgendwie über die Runden kommen würden. Was fehlte noch? Ein Verlagsvertrag, und eine Krankenversicherung. Den Verlagsvertrag konnte ich nicht erzwingen, das hat noch bis 2013 gedauert, und die Aussicht auf Versicherungsschutz hat dann den Ausschlag gegeben, dass wir nach vierzehn Jahren Partnerschaft tatsächlich doch noch geheiratet haben. Es hat bis 2019 gedauert, bis ich mit der Schreiberei genug verdient habe, um in die Künstlersozialkasse aufgenommen zu werden, und bis dahin hat es doch sehr an mir genagt, kein richtiges Einkommen zu haben, sondern nur noch die familienmitversicherte Ehefrau zu sein – ich habe mich in meiner Selbständigkeit sehr unselbständig gefühlt, und das war doof.

Aber bereut habe ich diesen Schritt nie. Die Selbständigkeit hat meiner psychischen Gesundheit sehr gut getan. Ich konnte endlich wieder mehr als vier stunden pro Nacht schlafen, weil ich nicht mehr zu fixen Zeiten raus musste, auch wenn das hieß, dass ich über gut und gern zehn Jahre einen völlig verschobenen Biorhythmus hatte, bei dem ich nachts wach war und tagsüber geschlafen habe (inzwischen hat sich das, dank einer lange überfälligen Medikamentumstellung, wieder normalisiert). Die Schriftstellerei war immer mein Traumjob, so gern ich auch Bibliothekarin war, und jetzt bin ich da angekommen, wo ich immer hinwollte. Nicht reich, nicht berühmt, aber Schriftsteller.

Was schätzt du an der Zusammenarbeit mit Verlagen, sowie auch mit deiner Agentur, der erzähl:perspektive, besonders?

An mir ist echt kein Selfpublisher verlorengegangen. Ich kann eine Sache, nämlich Bücher schreiben, und das kann ich richtig gut, aber mir fehlt jedwedes Verkaufstalent. Selbst als ich noch als Buchhändlerin gearbeitet habe, konnte ich nicht wirklich gut verkaufen, und sobald es an mich selbst geht, scheitere ich völlig. Es ist auch eine Kraftfrage: Mir fehlt die Energie, mich so richtig ins Marketing reinzuknien, wenn ich das versuche, bleibt das Schreiben völlig auf der Strecke, und das Schreiben ist es, für das ich das alles hier mache.

Deswegen arbeite ich mit Verlagen zusammen, die mich als Partner behandeln – ich liefere das, was sie nicht können, nämlich meine Bücher, die nur ich schreiben kann. Der Verlag liefert mir das, was ich nicht kann – das Lektorat, Cover und Layout, das Marketing, und gemeinsam, mit vereintem Können, bringen wir tolle Bücher auf den Markt. So soll es zumindest sein. Leider hatte ich auch schon Probleme mit Verlagen, die das mit der Partnerschaft nicht so wörtlich genommen haben, die mir mehr das Gefühl gegeben haben, ein Bittsteller zu sein, der ihnen Dankbarkeit schuldet … Man muss als Autor viel Dreck fressen, und das ist nicht gut und hat mir auch nicht gut getan, aber dafür schätze ich meine jetzigen Verlage, die mich wie einen ebenbürtigen Partner behandeln, um so mehr.

Ohne meine Agentur im Rücken hätte ich das alles nicht geschafft. Das ist wirklich eine Partnerschaft, die diesen Namen auch verdient – ich habe vor bald vierzehn Jahren bei der erzähl:perspektive unterschrieben, und wir sind in den Jahren zu einem echt starken Team zusammengewachsen. Meine Agentin hat immer an mich geglaubt in den ersten zähen Jahren, bis ich endlich meinen ersten Verlagsvertrag bekommen habe, und glaubt immer noch an mir, und hat sich für mich buchstäblich Arme und Beine ausgerissen – das rechne ich ihr wirklich hoch an. Wenn es Probleme mit Verlagen gibt, ist sie immer für mich da, und sie hat mich bei zwei Büchern, bei denen ich selbst Probleme hatte, sie fristgerecht fertigzubekommen, buchstäblich an den Haaren über die Ziellinie geschleift …

In der Verlagswelt, vor allem, wenn man mit großen Verlagen arbeitet, die immer noch in erster Linie Wirtschaftsunternehmen sind, kommt man als Autor:in leicht unter die Räder, und ohne meine Agentur hätte ich schon vor Jahren die Brocken hingeschmissen, keine weiteren Bücher mehr veröffentlicht und nur noch als Hobby geschrieben. Ich habe es nicht getan und bin jetzt deutlich zufriedener mit meiner Situation, aber ohne meine Agentin wäre ich jetzt nicht hier.

Gibt es etwas, das du all jenen mitgeben möchtest, die momentan selbst auf der Suche nach einem Verlag oder einer Agentur sind?

Leg dir ein dickes Fell zu. Du wirst es brauchen für alles, was von jetzt an auf dich zukommt. Mit Absagen geht es los, und du wirst Absagen kassieren. Erst auf der Suche nach einer Agentur, und selbst wenn das klappt, dann geht es los mit den Absagen von den Verlagen. Und wenn du einen Verlag gefunden hast, heißt das nicht, dass der auf die Dauer mit dir zusammenarbeiten möchte und vielleicht die Zusammenarbeit nach einem Buch beendet. Aber so niederschmetternd das klingt: Manchmal würde man selbst für eine Absage noch eine Menge geben, weil einfach überhaupt keine Reaktion von der Person, die dein Manuskript gerade prüft, kommt.

Es gibt Agenturen, bei denen heißen zwei Wochen ohne Antwort, dass sie dich nicht nehmen, und du wirst nie wieder etwas von denen hören. Andere prüfen auch schon mal ein halbes Jahr, oder noch länger, und halten dich so lange in der Schwebe. Das ist mir selbst nie passiert, weil ich mich überhaupt nie bei einer Agentur beworben habe, sondern einfach das Glück hatte, dass meine Agentur online über ein Buch von mir gestolpert ist und mich, Wunder gibt es immer wieder, unter Vertrag genommen hat, aber ich habe es bei anderen Autor:innen im Tintenzirkel erlebt, wie sehr sie das Warten zermürbt hat. Und ich selbst habe mal anderthalb Jahre warten müsssen, bis sich ein Lektor ein Bild von meinem Herzensprojekt gemacht hast, und dann ist es eine Absage geworden. Sitzfleisch ist essentiell, um in diesem Markt zu überleben. Und erwähnte ich schon das dicke Fell?

Das brauchst du auch im Umgang mit Rezensionen – so schön es ist, ein Lob zu lesen, wird es immer Leser:innen geben, die dein Buch nicht mögen. Selbst wenn es gut ist. Man kann es einfach nicht der ganzen Welt rechtmachen, und ehrlich, ein Buch, dass das auch nur versucht, wird beige und belanglos. Dein Buch wird verrissen werden, mindestens einmal – da muss man als Autor:in durch. Mir hilft dabei das Wissen, dass ich auch nicht alles mag, dass ich auch schon Bücher herzhaft an die Wand pfeffern wollte, weil ich sie dermaßen schlecht fand. Aber Spaß machen Verrisse trotzdem keinen, vor allem, wenn sie sich häufen. Und doch ist jede Rezension, ob gut oder schlecht, Zeichen dafür, dass du es geschafft hast, ein Buch auf den Markt zu bringen – entweder, weil es dir gelungen ist, eine:n Lektor:in davon zu überzeugen, oder weil du es auf dich genommen hast, alles in Eigenregie zu stemmen.

Denn auch die Option hast du: Wenn du partout kein Glück bei der Agentursuche hast, bleibt dir immer noch die Möglichkeit, dein Buch im Selbstverlag umzusetzen. Aber auch damit sind Risiken verbunden. Du musst Geld in die Hand nehmen, für Lektorat, Korrektorat, Cover, Marketing … Es kann sein, dass du das leicht wieder einspielst, aber ebenso ist es möglich, dass du auf deinen Kosten komplett sitzen bleibst. Das Risiko beim Selbstverlegen trägst du selbst, und wenn du schon vorher weißt, dass dir das finanziell das Genick bricht, wenn der Erfolg ausbleibt, dann lass es lieber bleiben.

Ebenso kann es sein, dass du zu dem Schluss kommt, dass dein Buch einfach noch nicht gut genug ist zum Veröffentlichen. Wenn es dein erstes ist, ist das nicht einmal unwahrscheinlich. Dann sei trotzdem stolz drauf, leg es in die Schublade, und schreib das nächste, das dritte, das vierte. Du wirst mit jedem Buch besser. Hör nicht auf zu schreiben, und hör nicht auf, es zu versuchen. Ich selbst habe mehrere Jahre lang alles drangesetzt, einen Verlag für meinen Debütroman zu finden, und ich habe heute kaum Worte dafür, wie froh ich bin, dass dieses Buch am Ende in der Schublade geblieben ist – kein schlechtes Buch für einen Erstling, kein schlechtes Buch für Anfang 20, aber wenn man all diese Umstände wegnimmt und nur das Buch für sich betrachtet, ist es einfach kein gutes Buch. Man muss nicht alles veröffentlichen, nur weil es fertiggeworden ist. Manchmal reicht es schon, selbst Spaß daran zu haben, ein Buch nochmal zu lesen – und manchmal geht es einfach nur um den Spaß, den man am eigentlichen Schreibprozess hatte. Das ist das Wichtigste.

Tatsächlich ist veröffentlichen nicht für jeden etwas. Es gehören andere Dinge dazu, als nur ein gutes Buch schreiben zu können. Ich war selbst mehrmals nah genug daran, alle Brocken hinzuschmeißen und nur noch für mich selbst und meine Schublade zu schreiben, weil ich das Schreiben selbst immer noch liebe, aber vom Buchmarkt zu enttäuscht war, von meinem damaligen Verlag, der mich schäbig behandelt hat, von dem ständigen Angsthaben und Zittern, dass auf einen Buchvertrag kein Folgevertrag kommt, und selbst heute, mehrere Bücher später, habe ich diese Angst immer noch in den Knochen und nur deswegen nicht geschmissen, weil ich einfach die beste Agentin der Welt habe und im Tintenzirkel die besten Freunde, die mich aufgefangen haben.

Daher habe ich noch einen letzten Rat an dich: Wenn du noch nicht längst Mitglied im Tintenzirkel bist, schick uns deine Bewerbung. Wir haben viele detaillierte Informationen zu Agenturen und Verlagen mit vielen Erfahrungsberichten, Empfehlungen auf der einen, Warnungen auf der anderen Seite. Wir lehnen nur einen kleinen Teil der Bewerber:innen ab, und die meistens, weil sie in ihren Bewerbungen nichts von sich erzählen – wenn du ein bisschen aus dir herauskommen magst, kommen wir auch auf dich zu, und du findest im Tizi wertvolle Hilfe bei der Verlags- und Agentursuche, von Betalesern, die dir helfen, dein Manuskript aufzupolieren, über Hilfe bei der Exposéerstellung, bis hin zu virtuellen Knuddlern, wenn es nicht klappt und die nächste Absage eintrudelt. Aber wenn, wenn dann wirklich etwas draus wird, wenn du Erfolg hast – dann freuen wir uns um so lieber alle mit dir zusammen.

 

Das Interview führte Katrin Winkler im Juli 2022.